Klartext und Konfliktkultur
3.9.08/cam. Wir Schweizer sind ein Volk von Diplomaten und zucken immer wieder zusammen, wenn wir politische Debatten, aber auch Diskussionen in Unternehmen oder unter Freunden im Ausland mit verfolgen können, in denen die unterschiedlichen Meinungen viel klarer, schärfer und ohne besänftigende Wattepackung geäussert werden. Diese Schweizer Tugend macht vieles einfacher im Zusammenleben. Im direkten Kontakt ist man nett miteinander, sobald die Betroffenen ausser Hörweite sind, wird munter drauflos gelästert. Moralisch feiner ist es aber nicht, im Gegenteil, man kann diese Konfliktvermeiderei auch als Feigheit betrachten. Die ganz oberflächliche Nettigkeit oder – um ein Modewort aus Übersee zu benutzen – political correctness – ist ja in den meisten Fällen geheuchelt, vorgeschoben und so hat der, dem eine Kritik gilt, oft gar keine Chance, darauf zu reagieren, sich zu rechtfertigen oder vielleicht sogar seine Position zu überdenken und sein Verhalten zu ändern. Sich klar und deutlich zu unterschiedlichen Meinungen zu bekennen, bedeutet ja nicht, den Kontrahenten abzuwerten, ihm keinen Respekt zu zollen – im Gegenteil. Wir Rösseler sollten das doch aus dem Sport kennen: Es ist doch spannender, ehrenvoller, herausfordernder gegen gute Konkurrenz anzutreten. Und die Meinungsverschiedenheit‘, die jedem Sport zugrunde liegt, ist simpel und klar: jeder will gewinnen, will besser sein als der andere. Im Sport ist die Konfliktkultur geregelt, die Spielregeln sorgen dafür, dass sich das Gegeneinander im Rahmen der Regeln hält, über die Konsens herrscht und zu denen man sich durch die Anmeldung zum Wettkampf bekennt. Im Dialog gibt es zwar auch gewisse Regeln, aber es sind weitgehend ungeschriebene und ihre Ausprägung und Gültigkeit sind je nach Kontext sehr verschieden. So ist im politischen Dialog sogar in der braven Schweiz eine etwas schärfere, markigere Auseinandersetzung üblich als in Wirtschaft und Gesellschaft. Ganz besonders verbremst ist die Konfliktkultur bei uns aber rund um ehrenamtliche Funktionen. Die Tatsache, dass jemand etwas nicht gegen finanzielle Entschädigung, sondern aus irgendwelchen anderen Gründen tut, die keineswegs höher, ehrenhafter oder selbstloser zu sein brauchen, scheint ihn der Kritik zu entheben. Es gilt bei uns als unfein, jemanden mit einer markant anderen Meinung zu konfrontieren, der doch „so viele Stunden opfert für die Gemeinschaft“, der „sich doch redlich bemüht“ und so weiter. Erst wenn z.B. ein ehrenamtliches Behördenmitglied oder ein Milizoffizier straffällig werden, erhebt sich laute – dann aber oft allzu laute Kritik.
Ein Lösungsweg wäre, sich jederzeit klar und verständlich zu seiner Meinung zu bekennen, ohne den, der anderer Meinung ist, dabei abzuwerten, ohne ihm zu suggerieren, dass er gar kein schätzenswerter Mensch mehr sein könne, wenn er diese andere Meinung vertrete. Diese Haltung erfordert aber zuallererst einmal die Bereitschaft, sich von der Absolutsetzung der eigenen Meinung zu lösen, anzuerkennen, dass auch das, was man gerade engagiert vertritt, letztlich nur eine wandelbare Meinung und nicht die absolute Wahrheit ist. Diese Haltung sollte doch einem Volk, das sich gerne als Erfinder und Wahrer der Demokratie gebärdet, nicht allzu schwer fallen? Der demokratische Meinungsbildungsprozess erfordert doch geradezu die Bereitschaft, zwischen markant unterschiedlichen Meinungen einen Kompromiss, einen Konsens zu finden – und dabei auch sehr oft von seiner anfänglich vielleicht zu einseitigen Sicht abzurücken. Konfliktkultur bedeutet somit mehr als nur ein Tolerieren des Andersdenkenden, es bedeutet, den Meinungsbildungsprozess zu initiieren durch klare Äusserung und dabei zu signalisieren, dass man durchaus lernbereit ist in diesem Prozess. Die oberflächliche, vorgeheuchelte Harmonie und Einigkeit in einem Kollektiv aber führt gar nie zu einem konstruktiven Prozess – höchstens zu ‚Faust im Sack‘, Gleichgültigkeit oder Verlassen des Kollektivs.
Kritik der Kritik
Ich möchte das oben Geschriebene an einem Beispiel verdeutlichen und - einmal mehr - betonen, dass die Kritik an Hans Bienz als Sportchef Disziplin CC des SVPS und als Artikelschreiber keine Abwertung seiner Person beinhaltet. Ich schätze ihn als langjährigen Reiterkollegen und mag seine ganze Familie ausnehmend gut. Aber mit dem auf www.mybo.ch und in der PW als Leserbrief abgedruckten Text liefert er mir einen eigentlichen Steilpass, um die grundsätzlichen Gedanken zu Konfliktkultur und Kritik zu illustrieren. Hier sein Text in Originalversion:
Die Schweizer Meisterschaft CC in Lausanne war eine gute Veranstaltung!
Als Sportchef interessiere ich mich für alles was Reiter und Organisatoren im CC Sport betrifft. Deshalb war ich am Wochenende des 23./24. August an der Equissima in Lausanne. Die perfekte Veranstaltung gibt es nicht, Verbesserungspotential ist immer vorhanden. Kritik soll aber immer sachlich und an geeigneter Stelle, das heisst bei den direkt Betroffenen angebracht werden. Wenn eine Journalistin diese Veranstaltung von A-Z kritisiert, so liegt sie in ihrer Beurteilung nicht richtig. Es ist bemerkenswert, mit welchem Engagement das Team um Marc-Henri Clavel diese Veranstaltung durchgeführt hat. Das Kernstück der Veranstaltung, die Geländestrecke wurde mit vielen neuen Hindernissen korrekt und pferdefreundlich
aufgebaut. Dressur und Springen fanden auf grossen Sandplätzen, vergleichbar mit internationalen Veranstaltungen statt. Die Gastfreundschaft der Organisatoren und das grosse Publikumsinteresse bewirkten eine gute, gar prickelnde Atmosphäre. Nicht zuletzt zeigten die meisten Reiterinnen und Reiter gute Leistungen. Ich gratuliere nicht nur den Medaillengewinnern, sondern auch dem Veranstalter mit all
seinen Funktionären, Rechnungsbüro, Hindernisrichtern, Helfern und Gönnern!
Hans Bienz, Sportchef CC SVPS
31.8.08
Der Text ist so herrlich geeignet für unser Thema, dass man ihn als Lehrstück ins nächste Kommunikations-Seminar mitnehmen kann. Nach einer Vorbemerkung möchte ich ihn im Detail kommentieren.
Vorbemerkung zur Kritik der Kritik
Wer kritisiert, muss selbstverständlich damit rechnen, dass auch seine Kritik wiederum kritisch unter die Lupe genommen wird. Im Fokus steht da im besten Fall die Sache, oft aber auch die Frage, ob der Kritisierende sich selbst so verhält, wie er es sich vom Kritisierten wünscht. Damit Kritik sich nicht in Anklage, Verurteilung oder reiner Behaupterei erschöpft, damit sie also überhaupt Teil eines Dialogs sein kann, muss sich der Kritisierende bewusst sein, dass keine Aussage - weder die seine noch die eines anderen - Absolutheitsanspruch hat. Auch mit grossen wissenschaftlichen Studien, mit Statistiken und Experimenten unterlegte Behauptungen haben bestenfalls einen höheren Überzeugungseffekt auf die Rezeptoren, absolut und ewig gültig sind sie bekanntlich auch nicht. Wer kritisiert, sei es als Reitlehrer, Dressurrichter oder Schreibender, sollte sich jederzeit zum Meinungspluralismus bekennen, will er nicht in die Niederungen des Fundamentalismus abstürzen.
Berechtigtes Flunkern, Schummeln und Lügen
Das Vorenthalten dessen, was man wirklich denkt, fühlt, meint, gehört ganz wesentlich zur Zivilisation und speziell zur Konfliktkultur. Man bezeichnet es in diesen gesellschaftlich anerkannten Formen dann auch nicht als 'Lügen', sondern je nach Kontext als Anstand, Höflichkeit, Rücksichtnahme, Diplomatie. Bevor wir also jemanden der Lüge bezichtigen, sollten wir uns klar zu werden versuchen über seine Motivation: Wollte er sich selbst schützen oder eine andere Person, eine ganze Gruppe anderer vor Schaden bewahren mit seiner Vertuschung dessen, was er selbst als 'Wahrheit' erkannte? Wollte er einer Sache dienen, log er aus strategischen Gründen? Und welcher Mittel bediente er sich: Hielt er nur Teile seines Wissens zurück oder verdrehte er aktiv das, was er selbst als 'wahr' erkannte. Oft sind wir uns unserer Motivation auch gar nicht wirklich bewusst. Wir lügen mal drauflos und im Nachhinein versuchen wir unser Verhalten zu legitimieren.
Nun also zum Artikel von Hans Bienz im Detail:
- Zum Zeitpunkt des Erscheinens und zum Titel: Bienz lobt die Veranstaltung nicht etwa unmittelbar danach, sondern erst als Reaktion auf den Artikel von Tamara Acklin in der PferdeWoche, auf den er ja dann auch halbklar verweist in seinem Text. Damit erhält bereits der Titel und das Ausrufezeichen etwas Reaktives. Selbstverständlich darf er dieser Ansicht sein. Die Argumente für sein Lob scheinen mir allerdings etwas dünn und die Motivation wenig lauter. Dazu muss man die ersten beiden Sätze unter die Lupe nehmen:
- Als Sportchef interessiere ich mich für alles was Reiter und Organisatoren im CC Sport betrifft. Deshalb war ich am Wochenende des 23./24. August an der Equissima in Lausanne. Hier gibt er sich einfach so als interessierter Tourist, der die Veranstaltung von aussen beurteilt - und das ist m.E. die erste Lüge mit zweifelhafter Motivation. Auch wenn er in der Folge Gründe anführt vom 'bemerkenswerten Engagement' über den 'korrekten und pferdefreundlichen Hindernisbau' bis zur 'Gastfreundschaft'. Was die meisten Leser nicht wissen, ist, dass Hans Bienz als Sportchef und Mitglied des Leitungsteams CC mitverantwortlich ist für diese SM. Ich würde sogar behaupten, dass er zusammen mit dem Chef der Disziplin hauptverantwortlich ist, denn weder vom Buchhalter noch vom neuen Chef Technik noch vom Nachwuchsförderer noch vom Disziplintierarzt darf man ein gleiches Engagement für eine würdige Schweizermeisterschaft erwarten wie vom Chef Sport. Die Hauptverantwortung ergibt sich also bereits aus dem Organigramm. Wenn man aber noch beachtet, wer die Positionen im Leitungsteam zurzeit innehält, so hat Bienz im Unterschied zum Disziplinleiter sogar persönliche Erfahrung als Reiter bis Stufe SM. Er hätte sich also ganz wesenlich im Vorfeld der Vergabe für eine Einhaltung des nach Werdenberg 05 verfassten SM-Reglements einsetzen müssen. Wer weiss, vielleicht hat er dies ja auch versucht und sich nicht durchgesetzt? Aber der Leser hätte ein Anrecht darauf zu wissen, aus was für einer Zwickmühle-Situation Bienz' Text geschrieben wurde: denn das schon fast wieder amüsante Detail ist ja, dass der Disziplinchef Clavel gleichzeitig der nun von Reitern und Journalisten kritisierte Veranstalter ist. Bienz lobt also einerseits sich selbst, andererseits seinen Chef. Dass er sich nicht traut, diesen als Veranstalter zu kritisieren, v.a. wenn er selbst Mitverantwortung trägt, verwundert natürlich nicht weiter.
- Wie und wo soll kritisiert werden? Bienz meint: Kritik soll aber immer sachlich und an geeigneter Stelle, das heisst bei den direkt Betroffenen angebracht werden. Das klingt auf Anhieb nett, ist aber bei genauerem Hinsehen widersprüchlich. Meint er mit 'bei den direkt Betroffenen' unter vier Augen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Wenn ja, dann wäre Journalismus reduziert auf das, was es im Pferdesport sehr oft ist: auf die Meldung der Sieger und die Bratwurstbilanz. Gut möglich, dass Bienz als potenzielle Kritik-Zielscheibe von solch biederen Vereins-Berichterstattungen träumt. Aber wie kommt er denn dazu, seine Kritik an dem Artikel nicht unter vier Augen vorzunehmen - schliesslich kennt er die Autorin bestens - , sondern doppelt öffentlich vorzunehmen, sowohl auf www.mybo.ch wie in der PW? Er macht also das, was er für falsch hält? Oder steht es ihm zu, öffentlich Kritik zu üben, ihr aber nicht? Oder meinte er, man solle beides tun, die direkt Betroffenen persönlich ansprechen und sich öffentlich äussern? Falls er das meint, schiesst er ins Leere, denn nicht nur Tamara Acklin, sondern viele andere Reiter, Trainer, Fachleute haben Kritik auf Platz direkt angebracht. Wir haben z.B. mehrfach mit Hans Klemm und Philippe Clavel gesprochen und konkrete Verbesserungsvorschläge angebracht. Auch bei organisatorischen Problemen wie z.B. der Verschiebung des Starts Springen um 30 Minuten, des Starts Cross aber nur um 15 Minuten haben wir direkt das Gespräch mit den Verantwortlichen gesucht.
- Pauschalverurteilungen. Bienz schreibt: Wenn eine Journalistin diese
Veranstaltung von A-Z kritisiert, so liegt sie in ihrer Beurteilung nicht richtig. Auch dies ein Schulbeispiel schlechter Kommunikation. Er tut das, was er der Kritisierten vorwirft: er verurteilt pauschal und absolut. Er wirft ihr vor, sie würde die Veranstaltung 'von A-Z' kritisieren. Wenn man den PW-Artikel allerdings genau liest, so ist dies keineswegs der Fall. Es wird differenziert kritisiert. So ist die Rede von einer "teils etwas altmodischen Bauweise" und "Einige der Srprünge gaben denn auch zu regen Diskussionen Anlass". Umgekehrt beurteilt Bienz die Geländestrecke undifferenziert und pauschal, wenn er sagt, "...die
Geländestrecke wurde mit vielen neuen Hindernissen korrekt und pferdefreundlich
aufgebaut."
Er bewertet auch absolut, was Tamara Acklin nicht tut. Sie schreibt z.B.: "Die Herausforderungen bestanden eher in..." - sie lässt also bereits in der Formulierung offen, dass man dies auch anders sehen konnte. Bienz aber schreibt absolut, die Journalistin liege in ihrer Beurteilung nicht richtig. Er allein beansprucht also die richtige Sichtweise. Das ist fundamentalistisch und nicht dialogfähig.
- Kritik mit Gegenvorschlag. Acklin macht klare Vorschläge, wie die Kritikpunkte angegangen werden könnten in Zukunft (Versuch der Integration der SM in YR-EM in Avenches, Geländebau durch Peter Hasenböhler etc.). Bienz macht das nicht. Abgesehen von dem unklaren, ja widersprüchlichen Vorschlag, Kritik müsse direkt bei den Betroffenen angebracht werden (siehe oben), zeigt er mit seiner Kritik an Acklins Artikel meines Erachtens nur einmal mehr, dass er von Kommunikation wenig, von Journalismus gar nichts versteht. Dass er aber auch mit gezinkten Karten spielt und die eigentliche Motivation seines Schreibens - sich selbst zu rechtfertigen - hinter heuchlerischer Nettigkeit und Lob einer Veranstaltung versteckt, für die andere verantwortlich zu sein scheinen - dieses Verhalten scheint mir doch kräftige Kritik zu verdienen. - Aber auch das darf man selbstverständlich anders sehen. Man kan mit seinen Worten argumentieren und sagen, es sei bemerkenswert, mit welchem Engagement er sein Amt als Sportchef ausübe - und dass überall Verbesserungspotential vorhanden sei. Mir persönlich wäre lieber, er würde sein Engagement als Sportchef darauf verwenden, dass in der Schweiz der CC-Sport verbessert würde - und da wäre rechtzeitiges Bemühen um eine würdigere SM im kommenden Jahr doch ein geeigneteres Betätigungsfeld, als sich doch etwas unbeholfen im Haifischbecken der Kommunikation zu tummeln, oder etwa nicht?